Den wenigsten Gebäuden, in denen die nationalsozialistischen Eugenikverbrechen geplant, organisiert, durchdacht und umgesetzt wurden, sieht man heute an, dass sie Täterorte sind. Sie prägen das Ortsbild und unseren Alltagsablauf: Wo früher „Sippschaftstafeln“ erstellt wurden, beantragen wir heute unseren Studierendenausweis. Wo früher Anträge auf Unfruchtbarmachung ausgefüllt wurden, übernachten heute Feriengäste. Wo früher Zwangssterilisationen durchgeführt wurden, erstatten wir heute Strafanzeigen. Wo früher Anordnungen zur Meldung „auffälliger“ Personen an das Gesundheitsamt erteilt wurden, finden heute Tagungen statt. Wo früher Verhandlungen über Unfruchtbarmachungen stattfanden, werden heute Lehrveranstaltungen angeboten. Wo man früher Kinder mit Behinderungen verhungern ließ, gehen heute Kinder zur Schule.

Die Lebenswege der Betroffenen der NS-Eugenikverbrechen sind kaum bekannt, die Geschichte der Täterorte ist meist vergessen oder wird ignoriert. Das Projekt „Beredtes Schweigen“ hat sich zur Aufgabe gemacht, über Thüringer Täterorte zu informieren. Mit Hilfe einer Karte wird das Netzwerk der Täter*innen und ihrer Helfer*innen nachvollziehbar und seine Folgen für das Alltagsleben der Menschen fassbarer. Der Schwerpunkt liegt auf den Städten Weimar und Jena, doch kann vieles übertragen werden auf andere Orte: Viele Städte hatten ein Gesundheitsamt, ein Wohlfahrtsamt, ein Krankenhaus, ein Kinder- oder Altersheim. Dies sind Orte, an denen die nationalsozialistische „Reinigung des Volkskörpers“ vorangetrieben wurde und die Bevölkerung ihrer Vielfalt beraubt werden sollte – ein Ziel, das sich heute noch einige auf die Fahnen schreiben. Über die Folgen solchen Handelns informieren unsere Texte zu Täterorten und Betroffenen.